Über Susan Sontag – oder die Erotik der Fotografie
Wer sich ein bisschen mit dem Warum und Wieso, sprich der Philosophie der Fotografie beschäftigt, kommt an der amerikanischen Essayistin Susan Sontag (1933-2004) nicht vorbei. Mit ihren Aufsätzen „Über Fotografie“ (On Photography, 1977) hat sie viel Richtiges über die Wirkung und die Funktion der Fotografie geschrieben. Und sie hat vieles 1977 schon vorausgesehen, was uns heute beschäftigt, unter anderem die Bilderflut, die uns immer mehr für die Inhalte der Bilder abstumpfen lässt. Allerdings sind die Aufsätze alles andere als leicht zu lesen. Manche Sätze muss man mehrmals lesen, bis man ihre Aussage begreift. Und sie setzt viel Allgemeinwissen voraus, wenn man jeden ihrer Gedanken nachvollziehen möchte.
Noch spannender für mich ist allerdings ihr Essay „Gegen Interpretation“ (Against Iterpretation, 1964). Darin wehrt sie sich gegen eine Überinterpretation von Kunst. Kunst und damit auch Fotografie müsse sinnlich erfahren werden, nicht über den Verstand, der alles hinterfragt.
„Heute geht es darum, dass wir unsere Sinne wiedererlangen. Wir müssen lernen, mehr zu sehen, mehr zu hören und mehr zu fühlen.“ Wir bräuchten eine „Erotik der Kunst“. Womit sie keine sexuellen Inhalte meint, sondern sinnliche Erfahrung.
Das mit dem sinnlichen Erfahren bei der heutigen Digitalfotografie ist allerdings nicht so einfach. Die meisten Fotos erscheinen in sozialen Medien, wo das sinnliche Erfahren auf den Gesichtssinn – die Augen – beschränkt ist. Alle anderen Sinne sind überflüssig. Das ist auch der Grund warum viele Fotografen dazu raten, Bilder auszudrucken, auch und gerade die Digitalfotos. Es ist eine viel größere und bleibende Erfahrung, wenn ich Bilder anfassen kann, zumindest das Papier, auf das sie gedruckt sind. Und gedruckte Fotos können sogar duften, manchmal allerdings auch nach Drucker-Chemikalien. Aber egal, zumindest werden mehr Sinne angesprochen als nur das Sehen.
Auch ich will meine Bilder gedruckt sehen. Es ist ein anstrengender, aber auch kreativer Prozess ein Fotobuch zusammenzustellen: welches Bild, welches Format, welches Papier, was für eine Bindung usw. Die letzten beiden Schritte mache ich nur bei einem Druck, nicht am Bildschirm. Gerade die Wahl des richtigen Papiers ist eine sinnliche Entscheidung.
Und ich denke dass eine Motivation für die Renaissance der analogen (Film-) Fotografie genau diese sinnliche Erfahrung ist. Weg vom sterilen Monitor hin zum Filmstreifen, den Negativen, den Papierabzügen. Kameras, an denen man den Film händisch einlegen und weiter transportieren muss. Filme, die man sogar zu hause selber entwickeln kann – oder muss. Oder das Warten auf den entwickelten Film aus einem Labor.
Und gedruckte Bilder kann man nicht einfach weg klicken oder wischen.
Sie bleiben.
Als Erotik der Fotografie.
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